Die therapeutische, schmerzwissenschaftlich orientierte Schmerzedukation hat aus unserer Sicht eine gewaltige Achterbahnfahrt hinter sich. Einst als der neue Hoffnungsträger der Therapieszene mit viel „Sexappeal“ gestartet, ging es steil bergab, nachdem Übersichtsarbeiten gezeigt haben, dass die Effekte auf Schmerz und Funktion klinisch doch sehr bescheiden ausfallen (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30831273, htps://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30178503) und auch die vermuteten protektiven Effekte auf eine Chronifizierung nicht nachweisbar waren (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30398542).
Und dennoch lohnt es sich auch hier, genau hinzuschauen, bei welchem Ziel eine solche Edukation dennoch sinnvoll sein kann. Eine recht hochwertige RCT von Louw et al. 2014, 2016 zeigt die Möglichkeit eines erheblichen Einsparungspotenzials durch solche Ansätze. Betrachtet man die doch geringen Kosten für eine einzige 30-minütige Einheit und die postoperativ eingesparten Folgekosten, dann scheinen solche Ansätze in der Cost-Benefit-Betrachtung höchst relevant.
Die Studie:
- Qualität (PEDro: 7/10)
- 32 Patienten vor OP mit einer Einheit PNE (30 min. Inhalt s. nächste Slide) in Ergänzung zu präoperativer Regelversorgung vs. Regelversorgung alleinig (35 Patienten in der Kontrollgruppe)
Ergebnisse:
- Nach 1 Jahr keine signifikanten Unterschiede für Rückenschmerz, Beinschmerz und Funktion
- Patienten zeigten nach einer präoperativen Einheit PNE eine höhere Zufriedenheit mit der OP (P = 0.021) und über 1 Jahr eine Kosteneinsparung für medizinische Leistungen von 45% (für Bildgebung, Arzt-, PT-, Chiropraktikerkosten, diagnostische Tests, s. Abb. 3). Auch über 3 Jahre waren die Ausgaben in dieser Gruppe immer noch 37% geringer (Louw et al. 2016)
Inhalte der präoperativen Schmerzedukation
Setion | Themen |
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Kann in Ihrer Situation notwendig sein (Entscheidung begrüßen). Positive Entscheidungen sind für eine optimale Genesung wichtig.
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Erklärung der Biologie von Nerven, damit der Patient versteht, dass Nerven als Alarmsystem betrachtet werden können, das dem Gehirn wichtige Informationen übermittelt.
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Nach einer OP ist das Nervensystem infolge einer erhöhten Nervensensibilität überprotektiv (der Alarm wird zu schnell ausgelöst). Mehrere Faktoren sind hierfür verantwortlich: OP-Erfahrung, Krankenhauserfahrung, bislang erfolglose Behandlungen, Ängste, Sorgen, Interaktionen mit medizinischem Personal, u.a..
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Der Patient erhält Informationen, wie diese erhöhte Nervensensibilität post-OP reduziert werden kann: Nämlich durch Wissen, Verständnis, Bewegung, Medikation. Über absteigende Mechanismen kann Nozizeption und die Schmerzerfahrung moduliert werden (über unser „körpereigenes Medikamentenrepertoire im Gehirn“)
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Die Sektionen 1-5 werden zusammengefasst und auf dieser Grundlage wird erklärt, was während der Genesung zu erwarten ist. Referenzlisten und ein Büchlein mit den vermittelten Inhalten werden übergeben.
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Weitere Ergebnisse: Medizinische Kosten nach 1. Jahr
Limitationen:
Nur eine präoperative Einheit (Vertiefungs-Sitzungen fehlen), keine Kontrolle der postoperativen PT.
Quellen
Louw, A., Diener, I., Landers, M. R., & Puentedura, E. J. (2014). Preoperative pain neuroscience education for lumbar radiculopathy: a multicenter randomized controlled trial with 1-year follow-up. Spine, 39(18), 1449-1457.
Louw, A., Diener, I., Landers, M. R., Zimney, K., & Puentedura, E. J. (2016). Three-year follow-up of a randomized controlled trial comparing preoperative neuroscience education for patients undergoing surgery for lumbar radiculopathy. Journal of Spine Surgery, 2(4), 289.